- Vorbereitungen in der Klinik laufen
- Falschmeldungen: 50% in Frankreichs Intensivstationen sind junge Patienten
- Zahlen zu schweren Dauerfolgen
- Intensivbetten in Deutschland und warum England RICHTIG schlimm wird
- Ibuprofen und Covid-19 Erkrankung
- Impfungen (Influenza, Pneumokokken) und aktuelle Influenzafälle
- Rauchen erhöht das Risiko
- Übertragung durch Lebensmittel und Lieferdienste
1. Vorbereitungen in den Kliniken
Aktuell befinden sich drei Mitarbeiter unserer Abteilung in Quarantäne. Die Ausfälle können gerade noch kompensiert werden. Warum es jetzt schon knapp ist, das habe ich in Beitrag 02 - Ausgangssituation im Gesundheitssystem geschildert.
Die Geschäftsführung hat weitere Maßnahmen beschlossen. Urlaub, Zeitausgleich und Fortbildungsurlaub ist für dieses Jahr generell gestrichen. Es besteht Betretungsverbot für das gesamte Krankenhaus. Das gilt für alle Besucher und es gibt wenige Ausnahmen. Diese werden von geschulten Mitarbeitern direkt vom Haupteingang zum Ziel begleitet (und wieder zurück). Besucher dürfen sich nicht mehr frei im Krankenhaus bewegen. Die Kantine ist ausschließlich für Mitarbeiter zur Mittagszeit geöffnet. Essen kann direkt auf die Stationen bestellt werden.
Für die kritische Zeit haben wir einen Notfalldienstplan: 4h arbeiten, 4h schlafen, 4h arbeiten ... so lange wie es eben dauert. Kleidung für ein paar Tage haben die meisten bereits in ihren Spinden eingelagert. Das wird keine schöne Zeit.
Eine komplette Station der Klinik wird zur Isolierstation umgerüstet (30 Isolationsbetten), dazu werden neue Beatmungsplätze geschaffen.
Ambulante und elektive (= nicht dringliche) Operationen werden verschoben oder trotzdem durchgeführt. Jeder Fall wird einzeln geprüft. Elektiv operiert wird zum Beispiel ein:e Patient:in, der:die Krebs hat. Wenn man solche Operationen 3 Monate aufschiebt, dann kann es bereits zu spät sein. Der Tumor hat sich im Körper verteilt und eine Operation macht keinen Sinn mehr. Weitere Operationen wären Wirbelsäuleneingriffe bei Patienten, denen ohne Operation eine Querschnittslähmung droht. Oder dringende Herzkatheteruntersuchungen bei Herzinfarkt. Notfalloperationen werden natürlich weiterhin uneingeschränkt durchgeführt.
2. Falschmeldungen und aktuelle "near misses"
Ein gutes Beispiel für schief gelaufene Tweets und warum man keine Zeitungen und soziale Medien als Informationsquelle nutzen sollte ist dieser Tweet.
Wenn ich als Intensivmediziner von "jung" spreche, dann meine ich Menschen unter 70. Wenn meine Oma von "Jung" spricht, dann meint sie alle unter 60; meine Eltern meinen mit "jung" alle unter 50.
Wenn ein 20-jähriger hört, dass 50% der Menschen auf Intensivstationen "Jung" sind, dann fühlt er sich direkt davon angesprochen. Zahlreiche Zeitungen haben die Schlagzeile bereits unreflektiert veröffentlicht.
Daher wie fast in jedem Beitrag der Hinweis: Nutzt KEINE Informationen aus Zeitungen oder Social Media. Auch die DPA und Öffentlich-Rechliche produzieren Mist am laufenden Band. Siehe Beitrag 01 - Ein Anfang.
3. Statistische Zahlen aus den USA über schwere Dauerfolgen.
Wir sprechen immer über Tote. Wenn in der höchsten Risikogruppe 60% sterben, dann ist hoffentlich jedem klar, dass die restlichen 40% nicht lachend aus der Klinik laufen. Da kommen Wochen an Weaning (Abgewöhnung von den Beatmungsgeräten), Rehabilitation und oft permanenter Pflegebedarf hinzu. Von PTBS und psychischen Folgen ganz zu schweigen. Seriöse Zahlen sind regional unterschiedlich und hängen von extrem vielen Faktoren ab (welches Land, Finanzierung des Gesundheitssystems, Intensivkapazitäten, Ausbildung der Mitarbeiter, Übermüdung und Überlastung der Mitarbeiter zum gegebenen Zeitpunkt, vorhandene apparative Ressourcen zum Behandlungszeitpunkt ...). Am Jahresende kann jedes Land für sich die Zahlen auswerten. Bis dahin ist es nicht mehr, als ein Blick in die Glaskugel.
4. Ergänzung zu vorhandenen Intensivbetten:
Die Grafik zeigt die Anzahl an Intensivbetten pro Einwohner im Ländervergleich. Leider ein Sprinkerlink. Ich verweise auf "SciHub". Die Grafik ist von 2012, inzwischen sind wir in Deutschland bei 34 Betten pro 100.000 Einwohner. LINK-Statista
Warum diese Zahl schön ist - aber nicht viel aussagt - lest ihr im Beitrag 02 - Ausgangssituation im Gesundheitssystem.
Was in der Grafik oben hervorsticht: England hat nur halb so viel Intensivbetten wie Italien. Was das in Kombination mit den "Morons" der UK- Regierung bedeutet, werden wir leider bald in der Presse miterleben dürfen.
5. Ibuprofen.
Es gibt zum derzeitigen Zeitpunkt (17.03.2020) keine Belege, dass Ibuprofen schwerere Verläufe begünstigt (Siehe WHO Corona FAQ). Auch hier haben etliche Zeitungen und Medien dazu beigetragen, großen Mist zur Legende zu machen. Selbst diverse Coronavirusportale veröffentlichen diese Information inzwischen.
Ein Arzt tweetet, dass viele Menschen mit schweren Verläufe Ibuprofen genommen hätten. Der Hobbyepidemiologe macht eine schlechte Fallstudie daraus und schon fressen es die Zeitungen gierig.
Leichte Fälle sind wie ein Schnupfen oder fallen euch gar nicht auf. Wenn es etwas doofer wird, dann kommt Fieber hinzu. Wenn es noch schlimmer wird, dann kommen gemeine Gliederschmerzen obendrauf. Was verschreibt man bei Gliederschmerzen? Ibuprofen!
Klar haben alle schweren Fälle Ibuprofen genommen. Es wirkt einfach zuverlässig bei Gliederschmerzen und andere Medikamente haben bei so einer Infektion Nachteile (zB Metamizol). Der Umkehrschluss mit Ibuprofen ist nicht zulässig. Man nennt Ibuprofen hier einen Störfaktor in der Statistik.
Falscher Umkehrschluss: Viele Menschen nehmen Blutdrucksenker, um den Bluthochdruck zu behandeln. Ein solcher Mensch stirbt - sind nun die Blutdruckmittel direkt schuld am Tod? Natürlich nicht.
Störfaktor: Rauchen macht Leberzirrhose? Nein, aber viele Alkoholiker sind eben auch Raucher.
6. Die Sache mit den Impfungen und Influenza.
Zahlreiche Meldungen behaupten, dass eine Influenzaimpfung die Sterblichkeit senkt.
Ja, das tut sie in der Tat. Aber nicht, weil die Influenzaimpfung den Verlauf einer Covid-19 Erkrankung günstig beeinflusst.
Vielmehr ist es sehr schlecht, wenn man gerade mit 40 Grad Fieber wegen Influenza im Krankenhaus liegt, und sich obendrauf noch mit SARS-CoV-2 infiziert. Deswegen haben Menschen mit Influenzaimpfung aktuell einen Überlebensvorteil. Bestehender aktiver Impfschutz vorausgesetzt ("Impfversager").
Ebenso verfällt es sich mit der Pneumokokkenimpfung.
Bei uns im Krankenhaus sind derzeit 2 Personen an der Beatmung mit Lungenversagen durch Influenzaviren. Insgesamt 5 sind stationär aufgrund einer Influenza.
7. Rauchen erhöht das Risko?
Ja, auch Verdampfen und Wasserpfeife. Das Rauchen nicht nur die Lunge schädigt, sollte jedem Raucher inzwischen klar sein. Jetzt ist die beste Zeit sich davon loszusagen. WHO - Tobacco and waterpipe use increases the risk of suffering from COVID-19
8. Übertragung über Lieferdienste und Lebensmittel
Eine Übertragung ist denkbar, aber sehr unwahrscheinlich. Wenn jemand bei REWE kräftig in seine Hand niest und danach die Äpfel neu sortiert, kann es tatsächlich zu einer Übertragung durch Schmierinfektion kommen. Wie sonst auch, solltet ihre Lebensmittel vor Gebrauch waschen. Es ist auch denkbar, dass außen an einer Pizzaschachtel Viren kleben. Man kann die Pizza auspacken, den Karton entsorgen, die Hände waschen und dann die Pizza nochmal in den Ofen packen. Das sind Maßnahmen, die ich als Hochrisikogruppe ergreifen würde (zB Transplantierte mit permanenter Immunsuppression).
Bild: "Inauguración del Hospital Regional de Apatzingán" von "Presidencia de la República Mexicana" (CC BY 2.0)
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