Teil 3 aus ‚DES TEUFELS HAND‘

Ich ließ das Trinken komplett sein, warf meinen Job hin und flog - es war im Jahre 1977 – nach Karachi in Pakistan. Eine Nacht in einem feinen Hotel ( sogar mit Badewanne ) – dann ging es weiter nach Lahore.

  • Lahore gefiel mir und ich blieb gleich zwei Wochen dort.

  • Wieder weiter in den indischen Punjab, meinen Sikh–Freund besuchen, ein Geschenk übergeben und am nächsten Tage schon – mein Freund hatte einen Auslandsjob gefunden und musste auch weg – weiter nach Amritsar. Erneuter Besuch im Goldenen Tempel; zwei Tage später fuhr ich nach Nagpur, wo ich mich im Hotel `Skylark ́ einquartierte.

Dieses Hotel wurde von mehreren Sikh–Brüdern geführt, mit welchen ich bald Freundschaft schloss. Abends ließ ich mich hin und wieder in ein Tanz–Varieté fahren, wo mir eines der Mädchen, Jaya, besonders gefiel. – Sie war nicht etwa ausnehmend hübsch, doch wirkte sie etwas scheu im Vergleich zu den anderen Tänzerinnen und dieser Umstand sprach mich an. Ich sah mir die Vorführung an, aß beispielsweise eine Suppe oder eine andere Kleinigkeit und trank ein Bier oder einen Saft.

  • Von einem Schneider ließ ich mir zwei sogenannte Pyjama–Anzüge anfertigen, einer davon aus Seide und bezahlte dafür die lächerliche Summe von umgerechnet etwa fünfundzwanzig Mark.

Ich machte Abstecher nach Madras und Bangalore; letztere Stadt gefiel mir ausnehmend gut. – Erstaunlich sauber und gepflegt für indische Verhältnisse; überall Blumenrabatte und Grün. Man hatte nicht den Eindruck, sich in einer Großstadt zu befinden; es war eher, als käme man von einem ruhigen, friedlichen Ort in den nächsten. Rote Sandsteinbauten, Kühe mit großen Eutern auf den Straßen; freche Affen, die Einem beim Frühstück auf dem Hotelbalkon Gesellschaft leisten wollten und von mir selbstverständlich ihren Teil abbekamen.

  • Madras gefiel mir weniger – genau gesagt - überhaupt nicht! Ich fuhr über Hyderabad zurück nach Nagpur und belegte wieder mein altes Zimmer im Skylark.

  • Wie immer, war ich äußerst freigiebig. Das Fenster meines Zimmers lag zur ruhigeren Rückseite des Hotels, von wo aus etliche, ärmlich erscheinende Hütten zu erkennen waren, in welchen scheinbar unbemittelte Menschen ihr Dasein fristeten. Eines Tages sah mich einer dieser vermeintlich Armen am offenen Fenster stehen und winkte zu mir herauf. Ich gab den Gruß zurück und warf einige Münzen hinunter, welche unverzüglich eingesammelt wurden.

Am Abend hörte ich von unten Rufe erschallen: „Bhaia, - Bhaia !“ Neugierig ging ich zum Fenster und sah eine Menschenmenge, welche sich unten versammelt hatte. Die Rufe galten mir und ich vermutete, dass auch sie gerne einige Münzen gehabt hätten. Ich warf also mein gesamtes Wechselgeld zum Fenster hinaus, doch reichte dieses nicht für Alle und die Rufe erschollen weiter. In der Ansicht, diese Armen gehörten zu einer verschworenen Gemeinschaft und würden ohnehin alles brüderlich teilen, warf ich zwei Hundertrupienscheine den Münzen hinterher und musste zu meiner großen Enttäuschung feststellen, dass es sich bei der Menge keineswegs um `Brüder und Schwestern ́ handelte. – Die Zwei, welche das Glück hatten, die Scheine zu ergattern, machten sich, verfolgt vom Rest, schleunigst aus dem Staube. – Ich hatte meine Lektion gelernt und ließ mir nun jeden Nachmittag an der Rezeption Geld wechseln, um genügend Münzen zu besitzen, welche ich aus dem Fenster werfen konnte....

Es sprach sich schnell herum, dass ein Zimmer des Hotels von einem verrückten Ausländer bewohnt wurde, welcher nicht wusste, wohin mit seinem Geld.

  • Eines Tages pochte es an der Zimmertür; ein Mann mit einem Stethoskop um seinen Hals stand draußen und drückte mir wortlos ein Stück Papier in die Hand. Es war in englischer Sprache beschrieben und gab kund, dass jener Mann sich in der unglücklichen Lage befände, seine Tochter verheiraten zu müssen und darum dringend mehrereHunderttausend Rupien benötige! Dies war nun selbst für meinen Geschmack zu unverschämt – und ich geleitete den Habgierigen nach Unten, wo er sich schleunigst verdrückte. Mein Freund an der Rezeption, welcher der Meinung gewesen, ich sei erkrankt und habe einen Arzt bestellt, hatte diesen Finanzexperten nach Oben gelassen. – Er machte mir, wie auch schon zuvor, Vorhaltungen über meine Freigiebigkeit; ich solle nicht auf jeden Betrüger oder angeblich Armen hereinfallen, andernfalls ich bald ohne Mittel dastünde. – Ich wusste selbst, wie recht er hatte, doch fiel es mir außerordentlich schwer - nein, war es mir unmöglich – am Elend vorüberzugehen, ohne meine Tasche zu öffnen.

  • Meine Mutter hatte des Öfteren erzählt, dass ich bereits als Kind Alles und Jedes bereitwilligst auf Verlangen weggegeben hätte. – Wurde ich etwa im Spaß von einem Erwachsenen um ein eben erst vom Kaufmann erhaltenes Bonbon angegangen, so hätte ich dieses süße Geschenk ohne Zögern dem Betreffenden entgegengehalten. – Auch in der Jugendzeit konnte ich sehr wohl die falschen Freunde von den andern unterscheiden; -doch fiel es mir zeitlebens schwer, Nein zu sagen.

  • So fuhr ich denn nun fort, meine Münzen aus dem Fenster zu werfen und wollte der guten Ratschläge meiner Sikh–Freunde nicht achten....

Ein Anglo–Inder war Manager des Hotel–Restaurants; Dieser nahm mich eines Tages mit nach Hause, um mich seiner Familie vorzustellen. Vater sowie Großvater waren früher bei der Eisenbahn beschäftigt. Die Eisenbahn schien überhaupt eine Domäne der Anglo–Inder zu sein und sie waren sichtlich stolz darauf. Dies schloss ich auch aus den Reden anderer Anglo’s, welche in dieser Siedlung lebten. – Irgendwann kam nun dieser Manager, er hieß Rodney, zu mir und erzählte mir im Vertrauen, dass er sich hier im Hotel aus bestimmten Gründen nicht mehr wohl fühle und darum ein eigenes Geschäft, in welchem er gebackenen und gebratenen Fisch verkaufen würde, eröffnen wolle. Ein solches Geschäft sei eine Goldgrube in Nagpur, doch bräuchte er dafür zehntausend Rupien und er bat mich um diese Summe, mit dem Versprechen, mich an dem Geschäft zu beteiligen. – Wir wussten Beide, dass ich wohl nie mehr nach Nagpur zurückkäme; dennoch gab ich ihm die gewünschte Summe. – Später erfuhr ich, dass er sich damit seine Wohnung neu eingerichtet hatte.

  • Der Abschied von den Skylark–Sikhs fiel nicht leicht, doch ich musste und wollte weiter nach Madhya–Pradesh. Dort gedachte ich für Immer zu bleiben, denn im dortigen Dschungel hatte ich mich wohl gefühlt. Ich hatte diesmal aus Deutschland zwei Medizinflaschen mit `Resochin-Tabletten' mitgebracht, damit nicht abermals solches Unheil mich heimsuchen sollte, wie es beim vorigen Mal der Fall gewesen.

  • Ich glaubte mich somit gewappnet und machte mich auf den Weg nach Raipur. Dort besuchte ich jene Familie, welche mich damals in ihrem Haus gepflegt hatte. – Ich hatte auch für sie einige Kleinigkeiten mitgebracht, über welche sie sich sehr freuten, obwohl es sich, nach europäischen Verhältnissen, um nichts übermäßig Kostspieliges handelte. Am Tag darauf ging es weiter nach Jagdalpur, wo ich meine Studentenfreunde alle wieder traf.

Drei Wochen blieb ich auf ihr Drängen; viel länger, als geplant, doch dann fuhr ich endlich mit dem Überlandbus über Narainpur nach Chhotte Dongar, der letzten Inder-Bastion vor den bewaldeten Bergen der Mariah’s. Chhotte Dongar war ein winziges Nest mit einer Schule, einem Spital und einem Büro des Rangers, welcher hier die Polizeigewalt innehatte.

  • Nicht in den Bergen von Abuzmar ließ ich mich letztendlich nieder; sondern man führte mich sechs Kilometer in entgegengesetzter Richtung in ein Gond–Muria–Dorf mit Namen Umagaon, wo man mir eine Lehmhütte zur Verfügung stellte. Ich blieb etwa vier oder sechs Wochen im eigentlichen Dorf, dann ließ ich mir, an der mir zusagendsten Stelle des Flusses, eine eigene Hütte bauen. Die Dorfleute waren gegen diesen meinen Umzug, da sie der Ansicht waren, es sei dort zu gefährlich für eine einzelne Person. Schließlich waren es mehr als zwei Kilometer bis zum Dorf und es gab Raubkatzen, Bären und Wölfe; doch war ich deshalb nicht übermäßig beunruhigt. Die Wälder waren wildreich und bisher hatte noch kein Tiger ein Rind oder eine Ziege gerissen. Kojoten oder Schakale vergriffen sich wohl an Geflügel, doch stellten sie keine ernstliche Gefahr für den Menschen dar.

– Unter den Eingeborenen fühlte ich mich wohl; sie waren anders als die Inder – stellten nicht so viele und dumme Fragen wie Jene; waren intelligent und wissbegierig. Mit der Zeit lernte ich, dass auch in dieses scheinbare Paradies bereits der verdorbene Apfel gefallen war. Inder von außerhalb, wie Lehrer, Arzt, Ranger oder auch Händler, diese durchweg Bengali’s, sahen überheblich auf die Eingeborenen herab, obwohl gerade sie, meines Erachtens, am wenigsten Grund oder Recht dazu hatten.

Die Gond hatten einst die Herrschaft über das ganze Land inne und stehen nach offizieller Lesart im Ruf einer frühen Hochkultur. Als dann arische Stämme in Indien einfielen, wurden die Gond in die Dschungel zurückgedrängt, wo sie über die Jahrtausende ihre einstige Kultur verloren. – Als sie vor nicht ganz vierzig Jahren in diesem Gebiet wiederentdeckt wurden, waren sie unbekleidet und lebten als Jäger und Sammler. Lediglich Hirse bauten sie mittels Brandrodung an; hatten von Pflügearbeit keine Ahnung.

Ich geriet in Streit mit Händlern und Lehrern, ob ihrer schnöden Versuche, die Eingeborenen zu übervorteilen. Mein Bild der Inder wurde ein erdenklich schlechtes und ich war froh, dass ich relativ wenig mit ihnen zu tun hatte. Noch viele Gond und noch mehr Mariah konnten Banknoten nicht nach ihrem Wert beurteilen, oder errechnen, wieviel Wechselgeld ihnen zustand, so dass sie stets in schamlosester Weise betrogen wurden. Medikamente, Spenden der westlichen Welt und dazu gedacht, kostenlos abgegeben zu werden, wurden verkauft. Hatte Jemand kein Geld, so bekam er keine medizinische Versorgung. Milchpulver, welches für Schulkinder bestimmt war, wurde ebenfalls nicht an die wahren Empfänger ausgegeben. Diese Dinge waren ein ständiges Ärgernis für mich und ich wandte viel Zeit auf, um Eingeborene bei ihren Gängen zu begleiten und nach dem Rechten zu sehen. Vorhaltungen und Appelle an Gerechtigkeit waren nutzlos; nur Drohungen konnten diese angeblich den Eingeborenen überlegenen Betrüger einschüchtern.

Drei Sprachen hatte ich zu erlernen, da Englisch hier weitgehend unbekannt war. Es gab in Chhotte Dongar einen Lehrer aus Benares, der an diese Schule strafversetzt war; er war der Einzige, der des Englischen mächtig war und nur mit ihm konnte ich mich zuweilen in dieser Sprache unterhalten. Die Gond–Muria sprachen Gondi und die Allermeisten von ihnen auch das am meisten verbreitete Halbi, welches von den unterschiedlichsten Völkergruppen in der Region gesprochen wurde. Die dritte Sprache war die offizielle Landessprache in Madhya–Pradesh und ist auch die im nördlichen Indien am weitesten verbreitete Sprache: Das Hindi. Ich lernte von den Gond und da ich alleine war und Niemanden hatte, mit dem ich mich in Englisch oder gar Deutsch hätte unterhalten können, lernte ich ziemlich rasch. Nach etwa vier Monaten konnte ich mich schon recht gut in allen drei Sprachen unterhalten, wenn ich auch hin und wieder einige Begriffe durcheinander brachte. Gondi und noch mehr das einigermaßen verwandte Mariah sind sehr melodische Sprachen und es machte mir Freude, mich darin zu üben. Machte ich einen Fehler, lachten meine Lehrmeister herzlich und wiesen mich dieserart auf den Faux Pas hin.

Kamen Eingeborene ins Inderdorf, so lachten sie niemals, sondern zeigten unbewegte Mienen; auch dies für mich ein Zeichen, dass sie mich akzeptiert hatten; denn waren wir unter uns, so ließen sie alle Scheu beiseite und wir hatten viel Spaß miteinander. Die Inder hielten es nicht für nötig, Gondi zu lernen; sie dünkten sich ja die Überlegenen, also konnten die Anderen gefälligst ihre Sprache lernen.....

So lebten die Gruppen nebeneinander, statt miteinander – und es schien mir nur eine Frage der Zeit, da selbst Dieses nicht mehr möglich sein würde. Zuhause trug ich den gleichen Lendenschurz wie die Gond; hatte die gleiche Frisur und lernte von ihnen. Schließlich waren sie in diesen Wäldern Zuhause und kannten sich somit besser aus, als irgendein Zugewanderter. Auf meinen Fußsohlen hatte sich längst die nötige Hornhaut gebildet, so dass ich mich im Dschungel barfuß bewegen konnte wie jeder Andere auch. Ich pflanzte Gemüse zum eigenen Verbrauch und hielt mir eine Hühnerschar. Abwechselnd hatte ich verschiedene Tiere des Waldes, welche verletzt waren, in Pflege; so etwa eine Eule, einen Papagei und viele mehr, die ich nach ihrer Genesung wieder der Freiheit überantwortete. Oft war ich unterwegs, um Bärinnen mit ihren Jungen zu beobachten und ich wollte Stunden des Tages mit Schwimmen und Herumplanschen im klaren, tiefen Wasser des Flusses verbringen. – Der Umgang mit der Axt war mir selbstverständlich geworden – und auch das Schießen mit dem Bambus-Bogen und gefiederten Pfeilen hatte ich gelernt. –

Bereits über ein Jahr befand ich mich nun hier am Orte, als eines Tages ein Fremder in Begleitung eines Halba’s aus Chhotte Dongar auftauchte. – Der Fremde hatte im etwa vierhundertfünfzig Kilometer von hier entfernten Raipur von mir sprechen hören und war eigens gekommen, um mit mir ein gewisses Problem zu erörtern. Der Halba–Führer wurde zurück nach Dongar geschickt, nachdem ich dem Fremden versichert hatte, dass er einen Begleiter für den Rückweg vom nahen Dorf bekäme. – Tatsächlich jedoch hatte der Fremde vor Dritten mit seinem Anliegen nicht herausrücken wollen und mir dies auch durch Zeichen zu verstehen gegeben. – Ich war gespannt, was denn Geheimnisvolles er mir zu eröffnen habe. Der Fremde bat mich, ihn Gautam zu nennen, erklärte jedoch gleichzeitig, dass dies nicht sein wahrer Name sei.

Im Nordosten Indiens, wo seine Heimat sei, wäre das gleiche Problem zu verzeichnen, mit welchem auch die Menschen hierzulande zu kämpfen hätten; doch würde dort bereits Etwas unternommen. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass ich mich für die Einheimischen hier einsetze und er sei in der Hoffnung gekommen, dass ich bereit sei, mit ihm und seinen Leuten gemeinsam zu kämpfen. Zu diesem Zwecke sei es notwendig, dass ich für eine begrenzte Zeit mit ihm käme und mich an Ort und Stelle informierte über die Art und Weise ihres Kampfes. Es sei dies nicht nur ein lokales Problem; sondern überall in diesem Lande herrsche Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Das Kastenwesen sei auf dem Papier schon seit 1947 abgeschafft, doch tatsächlich beschränke sich dies auch rein auf das Papier. Dazu kämen Polizei–Übergriffe sowie Korruption und Willkür, gegen welche der Einzelne machtlos sei. Ich solle mir überlegen, ob ich tatsächlich in einem Lande leben wolle, in welchem von Menschenrechten nicht wirklich gesprochen werden könne. Gautam nannte mir einen Termin. zu welchem er wieder in Raipur zu tun hätte und gab mir die Adresse eines Hotels, in dem ich ihn über den Zeitraum von zwei Tagen um die Mittagszeit treffen könne. – Ich solle an der Rezeption nach Gautam fragen. Der Termin war in etwa drei Wochen und dieser Zeitraum sollte mir zum Nachdenken genügen. Ich sollte mich im Falle meines Kommens auf eine Abwesenheit von mindestens vier Monaten einrichten. Wir tranken zusammen gewürzten Milchtee; danach begleitete ich ihn nach Umagaon, wo ich einen Jungen bat, ihn zurück nach Chhotte Dongar zu bringen. Gautam wollte diese Nacht im dortigen Government–Resthouse, dem Dak–Bungalow, verbringen und morgen in der Frühe mit dem Bus zurückfahren. Ich hing eigenen Gedanken nach. Mit allem, was Gautam gesagt hatte, war ich prinzipiell einverstanden; doch war ich mir auch der Tatsache bewusst, dass der Kampf, von welchem er gesprochen hatte, nicht allein mit Worten geführt würde. So befand ich mich im Zwiespalt; was sollte ich tun ? Nie war ich ein gewaltbereiter Mensch; ich glaubte an Überzeugung durch Vorbild und Reden, doch war auch mir nicht entgangen, dass dies bei diesem Menschenschlag nichts fruchtete......

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Fortsetzung morgen