Motive für's Komponieren

Wie ich mich meiner eigenen Musik nähere

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Kurz vor Beginn der Pandemie habe ich begonnen, meine eigene Musik für Klavier zu schreiben. Herausgekommen sind mehrere Miniaturen zwischen einer und drei Minuten lang.

Das erste Stück war eigentlich ein Mittel zur Frustbewältigung. Mit meiner damaligen Freundin hatte ich eine kurze aber heftige Episode der Eifersucht. Aus der Frustbewältigung wurde das erste Stück eigener Musik, daß mir wirklich selber gefiel. Gleichzeitig wurde daraus ein schönes Stück Versöhnungskultur zwischen mir und meiner damaligen Freundin.





Damit war für mich die Überzeugung geboren, die, wie ich festgestellt habe, so viele Künstler teilen, daß sie zu einer Art Clichee geworden ist. Nämlich, daß Kunst einen starken emotionalen Zugang des Künstlers und ein erzählerisches Element braucht, um authentisch zu wirken.


Wohlgemerkt spreche ich von Überzeugung und nicht von einem unumstößlichen Beweis. Seitdem kann ich aber behaupten, daß komponieren mir dann besonders leicht von der Hand geht, wenn ich von etwas persönlichem erzählen kann.




Der emotionale Zugang


Der emotionale Zugang kann dabei erstaunlich abstrakt sein. Ich muss nicht meine Biografie in meiner Musik verarbeiten, um einen persönlichen Bezug und damit einen emotionalen Zugang herzustellen. Es reicht, wenn das Erzählte eine emotionale Reaktion bei mir auslöst, die ich wiederum in Musik ausdrücke.


Jetzt, da seit Generationen wieder Krieg auf europäischem Boden herrscht, spüre ich, daß die Kriegserzählungen meiner Großeltern ausreichen, ein starkes Unbehagen zu empfinden vor dem, was sich im Osten dieses Kontinents gerade abspielt. Ich könnte zwar nie ein Stück Musik aus der Sicht eines Kriegsgeplagten schreiben. Wohl aber aus der Sicht desjenigen, der vor dem Krieg Angst hat. Und diese Angst ist absolut authentisch!






Das erzählerische Element


Wenn Künstler davon sprechen, daß sie mit ihrer Kunst Geschichten erzählen, dann meinen sie damit nicht unbedingt das Verfassen eines Romanes oder einer Kurzgeschichte in musikalischer Form. Das erzählerische Element bzw. die Geschichte kann sehr einfacher Natur sein und einen offenen Ausgang haben.


Eine einfache Vorbedingung reicht aus, um dem Zuhörer den Verlauf einer Geschichte zu implizieren. Hier ein Beispiel:


Ein Kind betritt einen Spielwarenladen und schaut sich mit leuchtenden Augen eine Puppe an und muss sich eingestehen, daß es aus Geldmangel diese Puppe nicht bekommen kann.


Diese Vorbedingung kann bei einem Zuhörer die Geschichte in’s Rollen bringen, in der das Kind von dem wohlmeinenden Ladenbesitzer die Puppe geschenkt bekommt. Bei einem anderen Zuhörer wird das Kind vielleicht zum Dieb.


Da Musik genau so herrlich unkonkret sein kann, wie der Komponist es möchte, muss er sich nicht mal auf eine dieser Geschichten festlegen. Solange er zu dieser kurzen, offenen Erzählung eine klare emotionale Sprache in seiner Musik entwickelt, ist die Authentizität bereits gegeben. Für den Hörer bedeutet dies nur, daß der emotionale Gehalt sehr glaubhaft wirkt, selbst wenn er andere Emotionen mit der Musik verbindet als der Komponist.




Fazit


Beim Erzählen einer emotionalen Geschichte durch Musik geht es mir nicht darum, einen Roman für den Zuhörer zu schreiben und in Tönen zu codieren. Vielmehr möchte ich den emotionalen Gehalt einer sehr einfachen Geschichte vertonen. Wenn ich dabei ehrlich zu mir selber bin, wird mein Publikum es merken, auch, wenn es nicht dieselbe Geschichte oder dieselben Emotionen mit der Musik verbindet wie ich.


Die Authentizität meines eigenen emotionalen Bezugs macht die Musik für den Hörer so glaubwürdig, daß auch sein eigener emotionaler Bezug authentisch wird. Und mehr kann ich nicht verlangen!


Wer also ehrlich mit sich selber ist und mit seiner Musik etwas zu erzählen hat, kann nichts mehr verlieren. Es wird sich ein Publikum dafür finden. Wo, steht auf einem ganz anderen Blatt!