Liturgie

Ein Blick auf das ,,Werk des Volkes'' inspiriert von Erfahrungen gemeinsamen Übens

Ein Trainingsprogramm für spirituelle Fitness

Eine etwas andere Blickrichtung auf das Miteinander im Gottesdienst kann helfen, bewusster mitzufeiern. So von Liturgie zu reden ist inspiriert von einem Buch Brian McLaren’s mit dem Untertitel ,,Gott im Alltag begegnen“

Wer zusammen mit anderen Gottesdienst feiert, befindet sich - oft ohne es zu merken - auf einem geistlichen Übungsweg, der wirksam spirituelle Kompetenzen fördert. Deshalb ist nicht überraschend die ,,Aktive Teilnahme“ am Sonntagsgottesdienst der Gemeinde ein Kirchengebot. Liturgie bedeutet wörtlich „das Werk des Volkes“. Indem sie Liturgie feiern, tun Menschen das „Werk“ des Betens, Singens, Zuhörens, Redens, Niederkniens und so weiter.

Als Art ,,spirituelles Gruppentraining“ ermöglicht die Mitfeier der Liturgie neue Kompetenzen. So gesehen ist sie eine bewährte Ordnung gemeinschaftlicher spiritueller Übungen. Sie bewahren unsere geistliche Gesundheit und kräftigen uns durch „Dehnübungen“ und Herausforderungen. So entsteht ein neues Niveau an geistlicher Kompetenz. Es gibt Übungen

  1. beim Ankommen,

  2. der Aktiven Mitfeier,

  3. des Zuhörens,

  4. beim Antworten und

  5. der Rückkehr in den Alltag.

Kommunion

bedeutet der katholischen Frömmigkeitstradition viel. Das zeigt sich an der besonderen Hinführung der Kinder mit ihren Familien zu ihrer Erstkommunion. Wir glauben als Christen an den dreifaltigen Gott, der in sich Gemeinschaft ist. Der Reformimpuls des Vatikanum II zeigt, Liturgie ist immer auch offen auf die Notwendigkeiten der jeweiligen Zeit oder Gemeinschaften hin.

Übungen beim Ankommen

Bequemlichkeit überwinden:

Es kann unbequem sein, sich zum Gottesdienst aufzumachen, weder Ort noch Zeit hat man sich ausgesucht. Der Versammlungszweck ist vorgegeben. Persönlicher Wille ist nötig, um einen ,,eucharistischen“ Lebensstil einzuüben. So gesehen stärkt der Kirchgang zu Zeiten, in denen einem nicht danach ist, die eigene Grundausrichtung.

Eigene Vorbereitung:

Persönliche Routinen erleichtern den Einstieg in den Tag: Zähneputzen, Anziehen, …

Auf die Aktive Mitfeier des Gottesdienstes könnte z.B. einstimmen: Beten, Lesen oder …

Gastfreundschaft:

Wie man anderen Gottesdienstteilnehmenden begegnet, ist eine wesentliche Übung der Gemeinschaft. Bleiben sie Fremde - wie im Supermarkt oder Wartezimmer beim Zahnarzt? Dann hat Gemeinschaft keine Bedeutung, ist es egal, ob diese dazugehören oder nicht.

In der frühen Kirche war das Willkommen-heißen sehr wichtig. Paulus Worte: „Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss“ waren revolutionärer als uns oft bewusst ist. In der standesbewussten römischen Gesellschaft war üblich, nur mit gleichrangigen Personen zum Gruß einen Kuss auszutauschen. Wie in der frühen Kirche Juden und Heiden, Männer und Frauen, Sklaven und Freie, Reiche und Arme gesellschaftliche Konventionen überwanden zeigte, ihnen war ihre Gemeinschaft in Jesus Christus wichtiger als ihre gesellschaftlichen Kultur.

Übungen der Aktiven Mitfeier

Stille 🤫:

Wer den Gottesdienstraum betritt, kann sich in Stille üben. So kommt der innere Lärmpegel durch die von Hektik und Alltagsgeschäft aufgewirbelten Gedanken mehr zur Ruhe. Es wird möglich innerlich wacher und präsent zu sein. Diese Übung zur Stille, zur Achtsamkeit - oft mehrfach im Gottesdienst - lässt das Training erst die erhoffte Wirkung zeigen.

Das Eingangsgebet:

Die oft alten Gebete hören sich manchmal merkwürdig an. Da soll Gott gegenwärtig werden - als ob Gott nicht schon da wäre. Da wird Gott gesagt, dass wir jetzt in seine Gegenwart treten - als ob wir nicht schon in Gottes Gegenwart gewesen wären, bevor wir uns aufgemacht hatten, und als ob Gott das erst bemerken würde, wenn wir es IHM sagen.

Die tiefe Wahrheit ist: Oft vergessen wir Gottes Gegenwart im Alltag. Im Eröffnungsgebet machen wir uns auf, werden bewusst wach für diese ewige Wahrheit: Gott ist bei uns und wir sind bei Gott; wir sind und leben und handeln ganz in Gott.

Die wohl älteste liturgische Eröffnung des Christentums lautet:

Einer: Der Herr sei mit euch.

Alle: Und mit deinem Geiste.

Einer: Erhebet die Herzen.

Alle: Wir haben sie beim Herrn.

Einer: Lasset uns danken dem Herrn, unserm Gott.

Alle: Das ist würdig und recht.

Wie können wir aktiv diesen Dialog mitbeten?

Ob als eine müde Formel ohne Herz oder voller Enthusiasmus ausgerufen, oder mit gedämpfter Stimme gesprochen, von Menschen, die gespannt ein erstaunliches Geheimnis miteinander teilen. Dieselben Worte, drei unterschiedliche Übungen.

Singen 🎶🎶:

In den Kirchen wird viel gesungen. Oft ist das Wunder des Singens nicht mehr bewusst. Singen ist eine wichtige gemeinschaftliche geistliche Übung. Es –

  1. beteiligt unsern Körper,

  2. unsere Seele - unser Herz, unser Denken, unseren Wille – Psalm 103: „Alles in mir“.

  3. gilt einem Text – manchmal wunderschöne Poesie,

  4. mit einer Partitur – manchmal ein echtes Kunstwerk,

  5. instrumental begleitet

  6. und oft mit unterschiedlichen Stimmen.

Körper und Seele, Menschen und Instrumente, Worte und Noten, Männer und Frauen und Kinder, Konservative und Liberale finden so auf geheimnisvolle Weise in einer Harmonie zusammen. Es ist eine Harmonie mit uns selbst und mit anderen, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn.

Übungen des Zuhörens 👂

Sündenbekenntnis und Zusage der Vergebung:

Meist steht diese Übung am Anfang eines Gottesdienstes. Wir hören auf das eigene Leben, auf das eigene Gewissen, und gestehen ein, dass wir selbst Teil des Problems sind. Dass wir das tun, ist ein größeres Geheimnis, als uns im Allgemeinen bewusst ist. Es ist schon erstaunlich, wenn Menschen, die sich als Gemeinschaft vorgenommen haben, besser zu werden, öffentlich und gemeinsam bekennen, dass sie nicht besser sind.

Die eigene Dunkelheit in der Gegenwart Gottes und der Mitmenschen unverblümt und offen auszusprechen, besitzt eine große Kraft, die zutiefst verändert. Was könnte wunderbarer sein, als Gottes Zusage seiner Barmherzigkeit zu empfangen, wenn die Sünde, die Trennung von IHM so bewusst ist?

Aufmerksamkeit:

Sowohl die Vorbereitung wie das Hören der Predigt ist eine gemeinschaftliche Übung der Aufmerksamkeit. Der Prediger richtet seine Aufmerksamkeit gleichzeitig auf die Bibel, die Glaubensgemeinschaft, die eigene Seele und das aktuelle Umfeld. Er achtet auf Resonanz, die ahnen lässt, wo Gott vielleicht redet.

Die Mitfeiernden achten auf die Resonanz, die zwischen Text, Predigt und ihrem eigenen Leben entsteht.

So versuchen alle miteinander Theologie, persönliche Biografie und die ihnen gemeinsame Geschichte zu verbinden. Dieser Prozess - Vorbereitung, Vortrag, Aufnahme, Erinnerung - ist eine gemeinsame geistliche Übung, durch die die ganze Gemeinschaft lernt, auf Gott zu hören. Denn ,,wir glauben, dass Gott real ist, ER uns versteht und von uns verstanden werden möchte. Im gemeinsamen Hören auf Gott brauchen einander. Dieses gemeinsame Hören ermöglicht, Gott in einer Weise zu vernehmen, wie es allein nicht möglich wäre.

Auslegung und Urteilsfähigkeit:

Wer einer Predigt, einem Gebet, einem Lied oder den Vermeldungen zuhört, ist nie nur passiv. Er steht in einem ständigen, wenn auch selten bewussten Dialog mit der Botschaft und der Person, die sie mitteilt.

Mit welchem Interesse jemand zuhört, bestimmt oft, was ankommen kann. Bestimmt uns ein Interesse, wie bei einem Verkäufer, gegen den man gewappnet sein muss?

Übungen des Antwortens

Diese Übungen ermöglichen, angemessen auf das zu reagieren, was beim Zuhören an Resonanz spürbar wurde.

Biblische Beispiele dazu ist die Antwort des Propheten Jesaja ,,Hier bin ich, sende mich“ oder die Antwort Mariens ,,Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.

Im Gottesdienst gibt es einige kurze Einladungen zum Gebet, die für eine persönliche Antwort genutzt werden können und ausführlichere Gebete - Bekenntnisse - nonverbale Gesten:

  • Glaubensbekenntnis

  • Fürbittgebete

  • Kollekte

  • Kommuniongang

Übungen der Rückkehr (in den Alltag)

Diese Seite der Liturgie ist nicht oft im Blick. Die Vermeldung, also Einladungen zu Veranstaltungen, Neuigkeiten aus der Gemeinschaft, ist neben der Kollekte die am meisten unterschätzten Übungen der Gemeinschaft überhaupt.

  • Abschlusssegen

  • ein formloses Zusammensein nach dem Gottesdienst.

Biblische Perspektive dazu

Mahnungen der Bibel zeigen, Gottesdienst feiern muss nicht notwendig zu einem inneren Wachstum führen. Wer falsch übt, erlebt geistliche Fehlbildung statt der gewünschten Charakterformung.

So schreibt Paulus im 1. Korinterbrief: „Das kann ich nicht loben, dass ihr nicht zu eurem Nutzen, sondern zu eurem Schaden zusammenkommt.“ (1. Kor. 11,17).

Der Jakobusbrief kritisiert eine Praxis, manche in der Gemeinde zu bevorzugen. Jesu Botschaft ist anders (Jakobus 2,1-7).

Der Hebräerbrief spricht Personen an, die sich, von der „institutionalisierten Religion“ enttäuscht, ganz von diesen Übungen der Gemeinschaft zurückgezogen haben: „Lasst uns an dem unwandelbaren Bekenntnis der Hoffnung festhalten, denn er, der die Verheißung gegeben hat, ist treu! Lasst uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen! Lasst uns nicht unseren Zusammenkünften fernbleiben, wie es einigen zur Gewohnheit geworden ist, sondern ermuntert einander, und das umso mehr, als ihr seht, dass der Tag naht!“ (Hebräer 10,23-25).

Gesprächsanregung zu Geistliche Übungen

Welche Früchte kann das gemeinsame geistliche Üben haben? So kann es gelingen, sich gegenseitig zu ermutigen und zu Liebe und guten Werken anzuspornen, Hoffnung zu finden und Hoffnung zu schenken. Ohne erfahrene Weggemeinschaften würden gläubige Menschen vermutlich immer grimmiger und gleichgültiger.
Folgende Fragen können einen Austausch dazu anregen:

  1. Die Vorstellung eines Orchesters oder eine Sportmannschaft kann wichtige Seiten der Glaubensgemeinschaft sichtbar werden lassen. Wie verhält sich das persönliche, private, geistliche Üben zum Üben in der größeren Gruppe?

  2. Wo liegen die Stärken der Liturgie, wenn man sie als gemeinschaftliches ,,Training“ ansieht?

    Gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, um den Zweck des „geistlichen Trainings“ besser zu erfüllen?

    Passen z.B. die Lieder, die im Gottesdienst gesungen werden? Würden neue – andere Lieder helfen, mir, Menschen, mit den ich zusammen feiere, Menschen, die nicht mitfeiern?

  3. Wie könnte ein Gespräch, um die gemeinschaftliche Praxis zu verbessern, starten?

  4. Achten Sie bewusst bei der nächsten Mitfeier im Gottesdienst auf einzelne Übungen im Rahmen der katholischen Tradition.